Skip to main content
Seehof 041 726 10 01
 | 
Gotthard 041 726 10 02
 | 
Lux 041 726 10 03
Login | |

Die Geschichte der Zuger Kinos

Filmkultur in Zug seit 1923

100 Jahre Zuger Kinos - 10. bis 14. November 2023

Im November 2023 feierten die Zuger Kinos ihr 100-jähriges Bestehen mit einem fünftägigen Spezialprogramm, das über 2'500 Besucher begeistern konnte und als grosses Dankeschön an alle Cineasten, Filmfreunde, Kunden, Partner, Mitarbeitenden und jahrelangen Unterstützer der Zuger Kinos in die Firmengeschichte eingehen sollte!

Der Startschuss fiel am 10. November mit einer Reprise von NUOVO CINEMA PARADISO (1988) im Kino Gotthard, während im Kino Seehof bei der offiziellen Eröffnungsfeier mit geladenen Gästen die Korken knallten und auf die Ära der Familien Hürlimann und Ulrich zurückgeblickt wurde. Dies war der Beginn eines durch und durch cineastischen Wochenendes: Beim zweitägigen Filmklassiker-Marathon flimmerten von früh bis spät nochmals die grössten Kinoperlen der letzten 100 Jahre über die Leinwände der Zuger Kinos Seehof, Gotthard und Lux. Zu den Highlights des Wochenendes gehörte der Besuch von Emil Steinberger, der von einer Reprise von DIE SCHWEIZERMACHER (1978) begleitet wurde.

Am Montag fand mit "100 Jahre Kino Gotthard" die eigentliche Jubiläumsfeier im fast schon intimen Rahmen statt. Mit der Aufführung des Eröffnungsfilms von damals, DIE ELEKTRIFIKATION DER SCHWEIZERISCHEN EISENBAHNEN (1921-26), wähnte man sich zum 13. November 1923 zurückversetzt, als das Kino Gotthard - damals unter dem Namen "Grand Cinéma" - feierlich eröffnet wurde. Begleitet wurde dieser Stummfilm vom Zuger Musiker Jonas Inglin an der Posaune sowie einer vorgängigen Einführung von Eisenbahnforscher Martin Stuber.

Am Dienstag setzten schliesslich die Zuger Filmtage - Jubiläumspartner und seit vielen Jahren zu Gast in den Zuger Kinos - den Schlusspunkt: Bei der Award Night wurden die Gewinner des diesjährigen Jugend-Kurzfilmwettbewerbs gekrönt. Die nominierten Kurzfilme waren auch im Rahmen des zweitägigen Filmklassiker-Marathons zu sehen, womit das altbekannte, etablierte Filmschaffen mit den neuen Stimmen von morgen und frischen Inputs vereint werden sollte.

Filmkultur in Zug: Einhundert Jahre Kino Hürlimann

Bewegte Bilder an einer Wand, was für eine verrückte Sache! Im 21. Jahrhundert kann man sich das Erstaunen und Befremden nur schwer vorstellen, welche das Medium Film und die Kinos um 1900 auslösten. Das Kino der Attraktionen spielte sich in der Frühphase des Films vor allem auf Jahrmärkten ab. Dies galt natürlich auch für die Region Zug. Erst ab den 1910er-Jahren etablierte sich eine lokale Kinokultur. Der Bau des Grand Cinéma Zug (heute Kino Gotthard) im Jahr 1923 markierte schliesslich den Beginn einer bis heute dauernden Kinogeschichte in Zug.

Für viele aus Zug und Umgebung mag der Riesen-Kinematograph Excelsior am Schützenfest das allererste Filmerlebnis dargestellt haben.
Vreny Hürlimann-Schweikher vor dem Grand Cinema Zug, 1920er-Jahre.
Der Briefkopf, den René Marchal ab 1923 für kurze Zeit verwendete, zeigt das Grand Cinema Zug.

16. Februar 1923 | Pläne für ein Zuger Kino

Die Geschichte des Kinos Gotthard, des ältesten Kinos in Zug und eines der ältesten noch bestehenden Kinos in der Schweiz, ist eng mit der Geschichte einer Frau verbunden: Veronika Schweikher (1891-1975). Als kleines Mädchen schon soll Veronika Schweikher ihre Liebe zum Film entdeckt haben. Gemeinsam mit ihrem Mann, nun als Veronika Hürlimann-Schweikher, zog sie nach Baden – «der Bäder wegen» für den erkrankten Vater, wie sich Sohn Albert Hürlimann erinnerte. In Baden lernte Veronika Hürlimann-Schweikher den Filmpianisten und Kinobesitzer René Marchal kennen. Nach Zürcher Vorbild waren dort nämlich ab dem Jahr 1910 mehrere Kinos entstanden, und in einem dieser Kinos arbeitete besagter Marchal als Pianist. Kurz nach Eröffnung verkaufte die Besitzerin ihr Kino Radium (heute Royal) 1913 an Marchal. Weil Hürlimann-Schweikher von einem eigenen Kino träumte, machte sie mit Marchal gemeinsame Sache. Die Familie Hürlimann hatte Baden unterdessen verlassen und war nach Zug umgezogen, deshalb sollte das Kino dort realisiert werden.

Der Bauplatz-Vorvertrag für das zukünftige Kino nahe beim Bahnhof Zug ist datiert auf den 16. Februar 1923. Mit dem Bau wurden das Architekturbüro von Dagobert Keiser und Richard Bracher beauftragt. Obwohl Hürlimann-Schweikher ihre Pläne praktisch in Eigenregie umsetzte, musste sie den Gesellschaftsvertrag mit René Marchal noch mit dem Namen ihres Mannes unterzeichnen: Im Vertrag wurde sie mit «Frau Fredy Hürlimann» bezeichnet. Die Aufgabenteilung sah vor, dass Hürlimann-Schweikher die Direktion und den Betrieb übernahm, während der weiterhin in Baden ansässige Marchal seine Erfahrungen einbrachte, die Miete der Filme organisierte und bei technischen Fragen zur Verfügung stand.

13. November 1923 | Eröffnung des Grand Cinéma

Am Dienstag, 13. November 1923, fand die erste Filmaufführung im Grand Cinéma, dem heutigen Kino Gotthard in Zug, statt. Es handelte sich um eine geschlossene Vorstellung. Zu sehen war der Film DIE ELEKTRIFIKATION DER BUNDESBAHNEN, begleitet von einem erklärenden Referat durch Ingenieur Franz Graf, welcher in der Werkschule der Brown, Boveri A.G. in Baden die Lehrlinge unterrichtete. Ausserdem bekamen die Gäste einen Film über Walliser Bräuche und eine Literaturverfilmung von Gottfried Keller zu sehen. Zu dieser Vorführung kamen Mitglieder der Behörden, öffentliche Körperschaften, Vereine und weitere Persönlichkeiten aus Zug.

Am darauffolgenden Mittwoch, 14. November 1923, fand die Eröffnung für die Zuger Bevölkerung statt. Gezeigt wurde während fünf Tagen der Film MIT DER KAMERA IM HERZEN AFRIKAS inklusive einer fachkundigen Einführung. Als musikalische Begleitung dieser Stummfilme kam Klavier- und Violinenmusik zum Einsatz.

Möglicherweise griff der ausgewählte Film über die Eisenbahn die Nähe des Kinos zum Bahnhof auf.
René Marchals Name wurde auf der Werbung eingedeutscht zu «Marschal», 1923.
Das "Zuger Volksblatt" erhielt vor der Eröffnung exklusiven Einblick in das Grand Cinéma (Artikel vom 10. November 1923).

Film-Zensur in Zug

Dieser zweite Eröffnungsfilm verursachte bereits den ersten politischen Eingriff in der Geschichte der Zuger Kinos. Der Eintritt unter 18 Jahren war nämlich gemäss der geltenden Verordnung für Kinobetriebe untersagt. Nur besondere Jugendvorstellungen waren erlaubt, allerdings erst nach der vorherigen Genehmigung der Schulkommission. Als für den Film MIT DER KAMERA IM HERZEN AFRIKAS im November 1923 eine Zutrittserlaubnis für Schulklassen erbeten wurde, lehnte der Regierungsrat Zug das Gesuch sofort ab. Dieser Zuger Vorfall nahm eine Diskussion vorweg, welche zwei Jahre später durch ein Postulat des Luzerner Stadtpräsidenten und freisinnigen Nationalrats Jakob Zimmerli ins eidgenössische Parlament eingeführt wurde: Es ging darum, ob zum Schutz des Publikums eine bundesrechtliche Kinozensur eingeführt werden sollte. Zimmerli kämpfe vehement gegen die Sensationslust im Kinogewerbe: «Das Geheimnis des Erfolges ist die Sensation, oder, wie ein Kinobesitzer sagte: Pfeffer, Pfeffer, Pfeffer! Der vornehme, gute Film ist Intermezzo, den wirtschaftlichen Rückhalt gibt der Sensationsfilm, und je stärker die Konkurrenz, desto schlimmer ist es.» Entgegen Zimmerlis Forderung nach einer strikten Regelung setzte sich der Bundesrat und auch die Mehrheit im Parlament für eine freiwillige Vorzensur auf regionaler Grundlage ein.

Ungeachtet dieser Diskussionen hatte sich in Zug bereits 1923 eine mehrköpfige Zensurbehörde etabliert, welche als «Kantonale Kinokommission» während Jahrzehnten Filme visionierte und gegebenenfalls Zensurmassnahmen einforderte. Zensiert wurden freizügige Darstellungen, angeblich verstörende Produktionen wie FRANKENSTEIN von 1931 erhielten gar ein Verbot. Ängste bezüglich der Verführungskunst des Massenmediums Film fielen im Zuger Milieukatholizismus auf fruchtbaren Boden und sorgten auch später immer wieder für rote Köpfe.

FRANKENSTEIN von James Whale und mit Boris Karloff in der weltbekannten Rolle des Monsters war am Jubiläumswochenende am Samstag, 11. November 2023 (womöglich erstmals?) auf einer Zuger Kinoleinwand zu sehen.

Zensurbericht der kantonalen Kinokommission zum Film FRANKENSTEIN.
FRANKENSTEIN (1931) von James Whale.
Die Seiten des Grand Cinémas wurden als Werbeflächen vermietet. Das angrenzende Wohnhaus kam später dazu.
Die Wohnungen wurden erst später über das bestehende Kino gebaut, 1930er (aus dem Archiv des Baudepartement Stadt Zug).

15. September 1924 | Beginn der Ära Hürlimann

Die Zusammenarbeit zwischen Hürlimann-Schweikher und Marchal war aber nicht so harmonisch, wie anfangs gedacht. Marchal war mit der Organisation des Equipments beauftragt worden, jedoch entsprach seine Rechnungsführung nicht Hürlimann-Schweikhers Anforderungen an Transparenz. Hürlimann-Schweikher beschuldigte Marchal bald, Geld vom Betriebskonto abgehoben zu haben und sie täuschen zu wollen. Offenbar hatte Marchal Rabatte beim Einkauf eines Klaviers nicht angegeben und so in die eigene Tasche gewirtschaftet. Nach kurzer Zeit eskalierte der Streit und beide Seiten zogen Anwälte bei. Als bei der Eröffnung der Projektor nicht richtig funktionierte und Marchal sich nicht darum kümmerte, war das Fass voll. Eine Einigung kam zustande und Marchal trat seinen Geschäftsanteil am Grand Cinéma Zug auf den 15. September 1924 nach kaum einem Jahr für 30'000 Franken ab.

Im Oktober 1925 erfolgte der Eintrag des Grand Cinémas Zug auf den Namen Vreny Hürlimann im Handelsregister. Nach wenigen Jahren plante Hürlimann-Schweikher, das Grand Cinéma mit einem Aufbau für eine Wohnung zu ergänzen. Die Baueingabe von Hürlimann-Schweikher und dem Architekten Theo Hochstrasser von 1929 blieb allerdings wegen einer Einsprache des «Landanstössers Herrn Architekt Keiser», dem ersten Architekten des Grand Cinéma, hängig. Heinrich Peikert als neuer Architekt realisierte schliesslich 1937 das Wohn- und Geschäftshaus, welches quasi über das alte Kino gebaut wurde. Das Zuger Volksblatt kommentierte: «Die alte Renaissance hat sich mit einer modernen klaren Architektur vertauscht. – Ein Willkommensgruß in Stein.»

16. August 1930 | Einführung des Tonfilms im Grand Cinéma

Am Samstag, 16. August 1930, erlebten die Zuger Kinobesucher eine Neuheit: Im Grand Cinéma wurde der erste Tonfilm gezeigt. Hürlimann-Schweikher hatte mit der Anlage eine teure Investition gemacht. Sie schrieb entsprechend stolz im Programmheft über ihre «Anschaffung der anerkannt besten Tonfilmeinrichtung aller Länder» und erklärte den entscheidenden Schritt damit, «daß der Begriff ‘Provinz’ nicht identisch sein dürfe mit ‘Minderwertigkeit’ und daß die Tonfilmvorführung in unserm Theater denjenigen in den größten Zürcher Lichtspielhäusern […] ebenbürtig sein müsse». Auf dem Programm stand der Film DER UNSTERBLICHE LUMP unter der Regie von Gustav Ucicky. Besonders hervorgehoben wurde die «reine und natürliche Wiedergabe der menschlichen Stimme». Eine Zeitung berichtete gar: «[N]ach Aussage prominenter Fachleute hat sich noch selten ein Theater so gut geeignet für den Tonfilm wie unser Grand-Cinéma». Das eigens für die Tonfilmpremiere gestaltete Booklet zeigte, dass Hürlimann-Schweikher die Kunst der Reklame gut beherrschte. So sind zahlreiche Werbetexte für Filmproduktionen aus ihrer Feder geflossen.

Anlässlich der Tonpremiere ergänzte Hürlimann-Schweikher die Filmbeschreibungen um allgemeine Bemerkungen zum Tonfilm, 1930.

Die Werbefachfrau

Aus Hürlimann-Schweikhers geschickter Reklametätigkeit sind zwei besondere Aktionen hervorzuheben. In den 1920er-Jahren entwarf sie mehrere Werbetexte, um auf die feuerpolizeilich abgesegnete Bauweise des Grand Cinémas hinzuweisen. Inspiriert durch Zeitungsberichte über einen Brand im Kino Orient im benachbarten Zürich textete Hürlimann-Schweikher über ihr eigenes Kino vorsorglich: «Einziges Etablissement des Kantons, das auf Grund baupolizeilicher Vorschriften für Kinos auf das Modernste erstellt ist u. deshalb jeden Schutz des Publikums bei Feuergefahr gewährleistet.» Tragischerweise musste wenige Jahre später tatsächlich die Feuerwehr im Grand Cinéma einrücken, weil am 6. April 1930 ein Projektor Feuer gefangen hatte. Der Elektromotor des Apparats hatte nämlich das Laufgeräusch des Projektors übertönt, wodurch der Operateur das Problem erst bemerkte, als der Apparat schon Feuer gefangen hatte. Glücklicherweise konnte das Feuer sofort gelöscht werden.

Eine andere Werbeaktion Hürlimann-Schweikhers zog den Ärger der Theatergesellschaft Cham auf sich. In den Nachkriegsjahren fing sich Hürlimann-Schweikher beim Schweizerischen Lichtspieltheaterverband SLV ein, weil sie in Cham für ihre Kinos geworben hatte. Dort existierte nämlich seit September 1946 das Tontheater Neudorf. Der SLV hatte für solche Fälle 1947 beschlossen, dass «Reklame durch Schaukästen, Flugblätter, etc. in Nachbarorten mit Kinos unloyale Konkurrenz und daher verboten [sei]». Hürlimann-Schweikher verzichtete daraufhin auf öffentliche Kinowerbung und griff zu einem anderen Mittel: Sie sammelte nämlich Adressen der Kinobesuchenden, um diesen fortan das Zuger Kinoprogramm direkt in den Briefkasten zu liefern.

Im Bericht des Feuerwehr-Inspektorats wurde der Brand genau illustriert, 1930.

3. Mai 1938 | Kino als Massenmedium

Die Geschichte des Kinos ist auch die Geschichte des Massenmediums. In einem Kino finden sich unzählige Menschen zusammen, sehen dieselben Filme, teilen das gleiche Erlebnis. Der Starkult um bekannte Filmschauspielerinnen und Filmschauspieler erlebte nach 1900 entsprechend einen gewaltigen Aufschwung, weil auch erste professionelle Agenturen das öffentliche Image bekannter Persönlichkeiten gezielt gestalteten. So entstand zunächst in den USA, bald auch in Deutschland und im übrigen Europa ein neuartiger Kult um Schauspielerinnen und Schauspieler. In Deutschland gab die 1917 gegründete UFA (Universum Film AG) den Ton an: Hier feierten Stars wie Marlene Dietrich, Zarah Leander, Heinz Rühmann oder Hans Albers grosse Erfolge.

Als daher am 3. Mai 1938 Hans Albers ins Grand Cinéma nach Zug kam, um seinen Film DIE GELBE FLAGGE vorzustellen, hiess es in der Zeitung: «Bis anhin war es das alleinige Vorrecht der ‘ganz großen’ Städte, Zürich oder Bern etwa, einen männlichen oder weiblichen Film-Liebling in persona, lebendig und sozusagen greifbar, in einer blumengeschmückten Ehrenloge eines Großkinos gegen entsprechend erhöhte Eintrittspreise sehen zu dürfen. […] Heute können wir auch dieses prickelnde Sensatiönchen hier in Zug genießen!» Das Aufsehen war gross, wenn die Begeisterung auch nicht unbegrenzt war: «Kein geradezu enthusiastischer, aber […] doch herzlich gedachter Beifall begleitete den Gast», schrieb ein Kommentator. Vielleicht hing der fehlende Enthusiasmus mit der Mittelmässigkeit des Films («guter Durchschnittsfilm») zusammen. Vielleicht lag die spürbare Zurückhaltung auch darin gegründet, dass Albers ein deutscher Propagandaschauspieler war und das Deutsche Reich Österreich nur wenige Wochen zuvor annektiert hatte. Gerade erst im Vorjahr war ein Film wegen nationalsozialistischer Propaganda von der Zuger Zensurbehörde verboten worden. Ungetrübter war eine weitere Veranstaltung im Jahr 1938: Am 7. November 1938 nämlich fand eine ausverkaufte «Fest-Première» des Dialektfilms FÜSILIER WIPF statt.

Hans Albers begrüsste das Publikum im Grand Cinema im Anschluss an den Film, 1938.
Der Film FÜSILIER WIPF sorgte in Zug für ausverkaufte Kinosäle, 1938.
Überfall im Grand Cinéma (Zeitung unbekannt, ca. 1941).
Aussenansicht des Seehofs mit dem charakteristischen Vordach, 1948.
Innenansicht des Seehofs nach dem Umbau 1982.

1948 | Eröffnung des Kino Seehof

Hürlimann-Schweikher hatte in der Zwischenkriegszeit neben dem Grand Cinéma noch andere Kinosäle in Zug betrieben. Dies lohnte sich, denn die Zeit des Kinos war definitiv angebrochen. In Zürich beispielsweise hatten sich die Ticketverkäufe von den späten 1930ern bis in die 1950er verdreifacht. Weil Kino eine rasant wachsende Unterhaltungsbranche war, plante Hürlimann ein weiteres Kino im Herzen Zugs. Nun stieg auch ihr Sohn Albert Hürlimann (1918-2011) ins Geschäft ein. Hürlimann hatte in Zürich das Filmhandwerk von der Pike auf gelernt und übernahm die Innenausstattung des geplanten Kinos Seehof. Die Gestaltung des Baus übernahm der bereits bekannte Architekt Heinrich Peikert. Weil Albert Hürlimanns Frau Malerin war und er auch selbst die Kunstgewerbeschule absolviert hatte, bedingte er sich im ersten Stock die «Foyermitbenützung» in Form einer Galerie aus. Somit entstand im Kino Seehof ab 1948 die erste Kunstgalerie in Zug, wie Albert Hürlimann stolz verkündete. Er eröffnete mit einem Paukenschlag: mit Arnold d’Altri und Varlin. Während drei Jahrzehnten versammelte er in der Galerie Seehof die renommiertesten Kunstschaffenden der Schweiz, seine Gästebücher lesen sich wie ein Who’s Who der Innerschweizer Kunstszene, seien es nun Gäste oder Ausstellende.

Der Aufschwung der Kinokultur brachte allerdings erhebliche Spannungen zwischen Verleihern und Kinobetrieben mit sich. US-amerikanische Filmproduktionen überschwemmten zunehmend den Markt und übten mittels Abschöpfung der gestiegenen Umsätze gewaltigen Druck auf die Kinobetriebe aus. Als Reaktion auf die Bedrohung aus dem Ausland hatte der SLV in einer Sitzung 1946 beschlossen, die Macht der Verleiher zu brechen. Es ging darum, die Abgaben an Verleiher auf 50 Prozent der Einnahmen festzusetzen. Bei dieser folgenschweren Abstimmung forderten Mitglieder wohl aus einem gewissen Unwohlsein heraus eine geheime Durchführung. Hürlimann-Schweikher jedoch erklärte in der SLV-Versammlung unter allgemeinem Gelächter, dass sie als kleine Frau mutig genug für ein offenes Ja oder Nein einstehen könne. Wenn sie das tue, dann sollten auch Männer offen für ihre Meinung einstehen können. Entsprechend vehement setzte sich Hürlimann-Schweikher gegen lokale Konkurrenz durch. 1945 opponierte sie beim Lichtspieltheaterverband gegen die Pläne der Theatergesellschaft Cham für ein neues Lichtspieltheater, 1958 gegen einen neuen Kinosaal im Ochsen.

16. November 1956 | Eröffnung des Cinéma Lux in Baar

Hürlimann-Schweikher hatte bereits 1937 in Baar begonnen, im sogenannten «Capitol» im Pavillon des Gasthofs Bahnhof Filme zu zeigen. Zum Missfallen der Einwohnergemeinde wurden fast ausschliesslich «Gangster- und Wildwester-Filme» gezeigt. Der Einwohnerrat bat darum, anstelle der «verrohenden und gefährlichen» Filme nur Produktionen zu zeigen, «die bildend und belehrend wirken, wie z.B. Dokumentarfilme[,] die Reisen, Vorgänge in der Natur, Landschaften, die Herstellung von Produkten usw. wiedergeben». Hürlimann-Schweikher war allerdings mit der Darstellung nicht ganz einverstanden. Zudem war sie der Ansicht, dass die vorgeschlagenen Filme auf geringes Interesse stossen würden – das seien halt die Vorlieben des Baarer Publikums: «Es ist zu bemerken, dass gerade die guten, sensiblen Filme in Baar nicht beachtet werden», so ihre Einschätzung.

Zur Eröffnung des Cinéma Lux wurde der weniger anstössige Tanzfilm DER GLÄSERNE PANTOFFEL gezeigt. Mit grossem Aufwand hiess Hürlimann-Schweikher die vielen Gäste willkommen, darunter quasi seelenverwandte Kinobetreiberinnen aus den Nachbarskantonen: Trudy Schulthess, Kinounternehmerin in St. Gallen, sowie Mathilde Leuzinger, Kinounternehmerin in Rapperswil und Altdorf. Ebenfalls anwesend war ausserdem der Kinobetreiber Eugen Sterk, Neffe des Zürcher Filmpioniers und Gründer des ersten Lichtspieltheaters der Schweiz Jean Speck. Die Kinoelite der Deutschschweiz feierte die Neueröffnung des Kino Lux in einer Zeit, als das Schweizer Fernsehen gerade mit regelmässigen Programmen zu experimentieren begann. Zehn Jahre später gab es in der Schweiz beinahe eine Million Fernsehkonzessionen. Das Fernsehen seinerseits war nur ein Vorbote für den Wandel, den die Einführung von Videokassetten in den 1980ern auslösen sollte. Vorerst aber galt es, die Eröffnung des Lux zu feiern und fünf Jahre später die Zuger Kinobetriebe in der 1961 gegründeten Kino Hürlimann AG für die Zukunft auf stabile Beine zu stellen.

Der Empfangsraum des Kino Lux bei der Eröffnung 1956.
Mathilde Leuzinger (links) und Veronika Hürlimann-Schweikher (rechts) als Hähninnen im Korb, 1956.

10. Dezember 1975 | «Grand old Lady»

Als Veronika Hürlimann-Schweikher am 10. Dezember 1975 verstarb, verstummte eine energetische Kämpferin für den Kinostandort Zug. Hürlimann-Schweikher hatte sich nicht nur im SLV eine Stimme verschafft, sondern war einst sogar bis vor Bundesgericht gegangen, um einen negativen Entscheid für ihr Gesuch, das Kinobetriebsverbot für einzelne Feiertage für den Neujahrstag aufzuheben, anzufechten. Veronika Hürlimanns Kinder, Albert und Wilma Leutwyler zogen sich aus dem Kinogeschäft zurück und verpachteten 1976 die Zuger Kinos an Bruno Ulrich, welcher diese gemeinsam mit Maria Ulrich erfolgreich weiterführte. Ulrich kannte die Kinos und auch die «Grand old Lady» als Vertreter der Paramount-Pictures bereits und verfügte über eigene Erfahrung im Betrieb eines Kinos. Mit ähnlicher Verve wie Hürlimann-Schweikher trat Ulrich für qualitativ hochwertige Filme ein und war sich auch für keine Skandale zu schade, beispielsweise als die Vorführung des Erotikfilms «Emmanuelle» einen Strafprozess nach sich zog: Der Schatten der Zensurbehörde schwebte weiterhin über den Zuger Kinos. Nach und nach wurden die Kinos von der Kino Hürlimann AG renoviert und auf den neusten Stand gebracht.1979 feierte das Kino Gotthard Wiedereröffnung, und Hans-Ueli Leutwyler renovierte 1982 für die Kino Hürlimann AG das Kino Seehof neu mit 350 Plätzen. Bruno Ulrich bot Hand, 1996 in Zusammenarbeit mit der Luna AG das Openair-Kino in Zug am See zu etablieren.

Wilma Leutwyler-Hürlimann begutachtet die neuen Stühle für das Kino Gotthard, 1979.
Im Anschluss an die Besichtigung des Kinos Gotthard folgte eine Schifffahrt auf dem Zugersee, 1979.
Maria und Bruno Ulrich, 1979.
Von links nach rechts: Thomas Ulrich, Bruno Ulrich, Alban Hürlimann, Adrian Hürlimann, 1999.
Das Kino Lux erstrahlt in neuem Glanz und ist bereit für Film- und andere Veranstaltungen, 2020.

1999 | Die Zuger Kinos treten ins 21. Jahrhundert

Um die Zuger Kinos für das neue Jahrtausend zu rüsten, wurde 1999 das Kino Gotthard renoviert, das Kino Seehof erfuhr im Folgejahr einen Umbau und erhielt einen zweiten Saal. Gleichzeitig übernahm Thomas Ulrich die Geschäftsführung. Rund zehn Jahre später erlebte das Kino eine weitere grosse Wende: Fast alle 35mm-Projektoren wurden durch digitale Projektoren ersetzt. Die Kino Hürlimann AG, Adrian und Alban Hürlimann, stellten sich der finanziellen Herausforderung und investierten in die Digitalisierung und ergänzten die Vorführkabinen in Baar und Zug mit modernen digitalen Projektoren. Der jüngste Streich bestand in der Renovierung des Kino Lux, welches im Jahr 2020 unter der Regie von Familie Hürlimann trotz der anbrechenden Corona-Krise beendet werden konnte. Im November 2023 nun feiert die Kino Hürlimann AG einhundert Jahre Kinokultur in Zug mit einem mehrtägigen Spezialprogramm.


Sämtliche Bild- und Textdokumente stammen aus dem privaten Familienarchiv der Familie Hürlimann.
Historische Aufarbeitung und Text von Leander Diener.